Dies sind die Gründe :
1. Der gerichtlich bestellte Gutachter gilt für den Richter per se als glaubwürdig. Nichts von seinen Ausführungen, so offensichtlich unsinnig, einseitig, willkürlich, oberflächlich sie auch sein mögen, wird er hinterfragen. Das macht nur Arbeit und schafft Probleme. Ihre persönliche Gegendarstellung gilt hingegen immer als Parteivortrag und daher unglaubwürdig.
Mit einem Satz wie “Ja mei, kann ich doch nix dafür wenn Ihnen das Gutachten nicht passt“ ist das „Rechtliche Gehör“ und die inhaltliche Prüfung für den Richter in der Regel ausreichend abgearbeitet.
2. Um überhaupt auch nur ansatzweise Gehör finden zu können benötigen Sie also die Stellungnahme eines „Experten“ zum „Gutachten“. Sie müssen also suchen, wer Ihren Fall annehmen und sich fachlich zum Gutachten äussern will, was recht mühsam ist. Es kostet Zeit und Geld und sehr viel Recherche. Dies nennt man „Private Gutachtenexpertise“. Formal wäre diese nach §§ 411-412 zu würdigen. In der Realität geschieht dies praktisch nie.
Naturgemäß kann die Expertise sich nur auf methodische Fehler und auf fachliche Fehler beziehen. Falschaussagen, gefälschte oder schlampige Beobachtungen, Erfundenes und Weggelassenes kann dieser Gutachter zum Gutachten nicht erkennen – er war ja nicht dabei. Zudem wird ihm per se Parteilichkeit unterstellt, da er ja privat beuaftragt wurde. Und mit genau diesem Argument wird denn auch verächtlich lächelnd die Expertise schlicht ignoriert.
Schön beschreibt das Leser „Borian“ im Blog zum Artikel “Schlampige Gutachten” von Charlotte Frank in der SZ vom 14.2.2012
“Originalkommentar eines Facharztes für Psychiatrie zum Umgang der Gutachterin (Dipl.-Psych.) mit einem klinisch-psychiatrischen Test, den sie mit mir im Zuge des Gutachtens machte: "Das hätte ein Pizzabäcker nicht unqualifizierter machen können!" (Nichts gegen Pizzabäcker...) Anschliessend empfahl er eine Strafanzeige wegen mehreren Verstößen (z.B. Verletzung des Persönlichkeitsrechtes §203 StGB) und uneidlicher Falschaussage. Anzeige verlief im Sande... Ein Professor der Psychologie erklärte eine kritische Stellungnahme zum Gutachten wäre sinnlos, da RichterInnen Kritik an, von ihnen bestellten, Gutachtern als Kritik gegen sich selbst wahrnehmen würden. Zumal wenn sie schon lange mit den Gutachtern zusammenarbeiten. Reaktion der Richterin: Schwere Vorwürfe gegen mich, weil ich das Gutachten nicht hätte überprüfen lassen dürfen. Schlechte Gutachter sind eine Sache. Aber ohne schlechte Richter (die oft noch im Rollenverständnis der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts leben) hätten diese "Schlecht"achter keine Chance.
Bei einem grob unseriösen und in allen zentralen Teilen unwahren „Gutachten“, das mittels zweier Expertisen anerkannter universitär tätiger, erfahrener und approbierter Psychologen angefochten wurde, reichte dem Richter die Erklärung der weder approbierten noch erfahrenen „Sachverständigen“, sie habe eben ein „lösungsorientiertes Gutachten“ erstellt. Der Richter stellt nicht eine einzige kritische Frage, während des ganzen Termins sieht er teilnahmslos aus dem Fenster. Als ginge ihn all dies nichts an. Muss man sich Sorgen machen, hat er gar einen Schlaganfall mit Sprachstörung ? Ein locked-in-Syndrom, ein sog. Wach-Koma ? Gott sein Dank: Am Ende des Termins restitutio ad integrum, komplette Wiederherstellung.
Wir lernen daraus: Lösungsorientierte Gutachten dürfen auch wahrheitswidrig sein.
Während die Qualifikation des gerichtlichen Sachverständigen kein Limit nach unten ins Bodenlose kennt, gibt es für die „Gegendarstellung“ nie eine ausreichend hohe Kompetenz. Erstaunlich.
3. Mit dem Eingeständnis, ein unbrauchbares Gutachten veranlasst zu haben würde der Richter zwar Größe zeigen, liefe aber Gefahr, Kosten für die Staatskasse zu verursachen und würde auch selbst für die mißlungene Auswahl Verantwortung übernehmen. Das ist ein Ethos, das man von einem Richter vielleicht erwarten darf, aber offenbar so gut wie nie findet.
4. Und der Staatsanwalt ? Kann man einen Gutachter verklagen, der schlampig oder falsch berichtet ? Das Interesse der Staatsanwaltschaft an solchen Ermittlungen tendiert gegen Null. Als Begründung reicht der Satz, es bestehe kein Anfangsverdacht einer Straftat. Falls doch, könne man nichts nachweisen, weil ja Aussage gegen Aussage stehe und – welche Überraschung – keine Videodokumentation vorliege. Allerdings ginge es dem Anzeigenden ja ohnehin nur um Rache.
Nun, vermutlich ist die Chance auf den Nobelpreis für Physik auch bei Ihnen höher als die Chance, sich gegen ein falsches Gutachten zu wehren.
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Zimmermann schreibt im sehr lesenswerten Praxiskommentar zur ZPO, 9. Auflage im ZAP Verlag, S. 827 : „Greift die Partei die Ausführungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen (SV) unter Beruf auf ein von ihr eingeholtes Privatgutachten an, dann hat das Gericht die Amtspflicht, zu prüfen, ob weitere Beweiserhebung veranlasst ist. (BGH, NJW 1998, 2735) Der Rechtsanwalt kann sich darauf allerdings nicht verlassen und sollte deshalb grundsätzlich unverzüglich den Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen stellen (§§ 402, 397 ZPO), der nicht zurückgewiesen werden darf. (BGH NJW 1998, 162) Die Partei kann dann dem SV Fragen stellen und Vorhaltungen machen, die sich aus dem Privatgutachten ergeben.“
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